Kleiner Hebel, große Verantwortung: Marcus Kielas über seine erste Fahrt als Lokführer
An den Moment kurz vor seinem ersten Schichtbeginn erinnert Marcus sich noch ganz genau. „Ich bin vorher noch etwas mit einem Kollegen mitgefahren“, verrät er. „Dann haben wir angehalten und die Plätze getauscht. Er stieg aus, die Tür des Führerhauses ging zu. Ich seh‘ ihn noch vor mir, wie er draußen steht, winkt und ruft: Schöne Fahrt! Mir ist so richtig bewusst geworden: Es geht los, jetzt bist du auf dich allein gestellt.“
Unwirklich ist dem frisch gebackenen Lokführer dieser Augenblick vorgekommen. „So lange habe ich gelernt und gelernt und auf diesen Moment hingearbeitet. Und dann legst du plötzlich den Schalter um und hast mit diesem kleinen Hebel so viel Verantwortung in der Hand.“
Ganz alleine? Ist man nie wirklich.
Während der Umschulung werden angehende Lokführer in dem praktischen Teil der Ausbildung bei ihren Schichten von einem Ausbildungslokführer begleitet. Bei der ersten Fahrt sitzen sie ohne Begleitung im Führerstand. Kein zustimmender Blick, kein unterstützendes Nicken, wenn Marcus Entscheidungen trifft. „Du weißt was du tun musst, bist den Zug viele Male gefahren und trotzdem fühlt es sich ganz anders an“, beschreibt er die Situation. „Ich wusste, dass ich optimal vorbereitet war. Trotzdem können immer Ausnahmefälle passieren, die man nur im Fahrsimulator geübt hat – und die fühlen sich natürlich im echten Leben ganz anders an.“
Doch auch wenn ihm bei seiner ersten Fahrt das Führerhaus etwas einsam vorkam, wirklich alleine ist ein Triebfahrzeugführer nie: Über Funk oder Diensthandy kann schnell Kontakt zur Leitstelle oder anderen Ansprechpartnern hergestellt werden. „Wenn man Hilfe braucht, dann bekommt man die auch. Das schafft natürlich Sicherheit“, betont Marcus.
Work-Life-Balance bekommt Bedeutung
Sicherheit fühlt Marcus auch für seine Zukunft, aber das war nicht immer so. Seinen Weg zum Lokführer hat der gelernte Druckvorlagenhersteller nämlich erst 2018 eingeschlagen. „Manche Jobs können im digitalen Wandel nicht bestehen, auch bei mir war das so“, so Marcus. „Also bin ich in die Gastronomie gewechselt, habe dort zwölf Jahre gearbeitet und dabei auch zwei Filialen mit aufgebaut und geleitet.“
Doch die Branche habe ganz andere Arbeitszeiten mit sich gebracht: Arbeiten bis spät in die Nacht, kaum Platz für Privatleben. „Neben dem psychischen Stress ist der Job auch körperlich sehr anstrengend“, gibt er zu. „Es gab diesen einen Moment, da habe ich ein schweres Tablett hochgehoben und gedacht: Das willst du nicht bis zur Rente machen.“
Für ihn stand fest: Er will wieder in die Medienbranche, zurück zu alten Wurzeln. „Doch als ich das meinem Berater beim Arbeitsamt gesagt habe, hat er nur den Kopf geschüttelt und mir eine Broschüre zur Umschulung für Triebfahrzeugführer hingelegt“, lacht Marcus „Er meinte: ‚Wenn Sie das machen und die Prüfung schaffen, dann sehen wir beide uns in diesem Büro nie wieder.` Ich habe damals nicht verstanden, was er gemeint hat. Aber jetzt weiß ich es: Ich bin glücklich und der Job ist so zukunftssicher wie kaum ein anderer.“
Auch die Arbeitszeiten haben sich geändert. Schon weit im Voraus weiß Marcus, wann er welche Schichten fährt und wann er Freizeit hat. Durch seinen Tarifvertrag bei der RegioBahn sind auch Überstunden, Nacht- und Feiertagszuschläge genau geregelt. Der Begriff Work-Life-Balance habe für ihn daher eine neue Bedeutung bekommen. „Meine Freunde und Familie haben mich gefragt: Warum hast du das nicht schon eher gemacht?“, erinnert er sich. „Ganz ehrlich? Das frage ich mich auch.“