Eine Lokführerin sitzt telefonierend in einem Führerstand.

An der Spitze der Bahn

Themen wie die „Verkehrswende“ oder die „Digitalisierung im Führerstand“ sind für Anne Mathieu ganz klar Chefsache. Seit Juni 2020 steht sie als Chief Executive Officer von Keolis Deutschland an der Spitze der Eurobahn. Als Mutter von drei Kindern ist es ihr auch wichtig, mehr Frauen für die Bahnbranche zu begeistern. Im Interview beschreibt sie ihren Karriereweg und erklärt, wie sich Frauen in der einst männerdominierten Bahnbranche erfolgreich positionieren. Role Model statt Rollenmodell heißt die Devise.

Als Powerfrau in der Bahnbranche ist ihre Karriere nach wie vor ungewöhnlich. Sicher sind Ihnen auf ihrem Weg dorthin einige Vorurteile und Klischees begegnet. Wie können Sie damit umgehen?

Anne Mathieu: Wir sind heutzutage fast da angekommen, dass es selbstverständlich ist, wenn Frauen und Mütter ihren Beruf ausüben. Und für die Keolis-Gruppe gilt ganz sicher, dass eine Karriere unabhängig von Kultur, Geschlecht, Nationalität und Herkunft möglich ist. Wir haben viele starke Frauen und Männer weltweit im Team. Vor 20 Jahren, als ich mein erstes Kind bekam, war das freilich alles etwas anders. Damals wollte keiner daran glauben, dass ich gleich nach dem Mutterschutz wieder Vollzeit arbeiten würde. Sicherlich wurde ich seinerzeit als „Rabenmutter“ bezeichnet. Jedoch gibt es Vorurteile und Klischees auch unabhängig vom Geschlecht. Es gehört einfach dazu, dass Führungskräfte noch einmal engmaschiger beäugt werden. Ich persönlich bin sehr authentisch und offen für Kritik. Mit Kritik an meiner Person kann ich sehr gut umgehen. Es ist wichtig, sich selbst stetig zu reflektieren.

Mussten Sie sich auf Ihrem Weg gegen viele Männer durchsetzen?

Anne Mathieu: Nein, wirklich nicht. Ich bin auch nicht der „Karrieretyp“, ich habe es eher auf mich zukommen lassen. Dabei habe ich auf Vertrauen und Überzeugung gesetzt. Der Weg bis zum CEO bedeutet, dass neben fachlicher Kompetenz auch Erfahrung wichtig sind. Dabei werden wir von Menschen begleitet und erleben positive sowie kritische Zeiten. Das Ganze stärkt uns. Wichtig ist es, nicht aufzugeben. Und das gilt für jeden, absolut geschlechterunspezifisch.

Die Frauenquote ist insbesondere für Führungspositionen ein Thema und wird heiß diskutiert. Wie stehen Sie dazu?

Anne Mathieu: Es sind viele Kleinigkeiten, die insgesamt betrachtet einen enormen Einfluss haben. Zu große Stufen, zu wenig Platz für Kinderwagen, zu hohe Ablageflächen etwa. Diese männliche Ausrichtung zeigt sich auch bei den klassischen Crashtests fürs Auto. Seit Jahren werden diese an Dummys durchgeführt, die den europäischen Durchschnittsmann repräsentieren und die Ausrichtung auf Frauen kaum berücksichtigen. Dies ist leider nicht nur bedauerlich, sondern birgt tatsächlich zusätzliche Gefahren bei Unfällen.

Müssen sich Frauen eher doppelt behaupten – weil sie die Position verdient haben, da sie einen guten Job machen, und nicht, weil sie eine Frau sind?

Anne Mathieu: Für unser Unternehmen ist das ganz unerheblich. Für uns zählen Teamgeist, Engagement und auch der Hunger nach steter Weiterentwicklung. Ich weiß, jedoch von vielen Freundinnen, Bekannten oder auch aus Frauennetzwerken, dass unsere Vorgehensweise anscheinend noch eher selten ist. Ich denke trotzdem nicht, dass sich Frauen doppelt behaupten sollten. Vielmehr möchte ich sie ermutigen, selbstbewusst ihre Stärken zu zeigen und ihr „Selbstmarketing“ einzusetzen.

Warum ist es wichtig, mehr Frauen für die Branche zu begeistern?

Anne Mathieu: Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich. Also ist logischerweise auch rund die Hälfte unserer Fahrgäste weiblich. Wenn dann auch unsere Dienstleistung zur Hälfte von Frauen gesteuert wird, können wir unsere Endkunden besser verstehen und ihren Wünschen entgegenkommen. Hier starten wir übrigens beim Thema Vielfalt und Vorteile der Diversität. Die logische Konsequenz kann nur lauten, bereits junge Mädchen zu stärken und ihnen die Botschaft zu geben „Du kannst das und du schaffst das“. Role Model statt Rollenmodell und Klischee. Wir haben bereits viele Frauen, die sich als Role Model insbesondere auch in der ursprünglichen Männerdomäne SPNV erfolgreich positioniert haben.

Was muss sich in der Branche noch ändern?

Anne Mathieu: Die Branche ist im stetigen Wandel und das ist positiv. Innerhalb der Keolis Gruppe sowie auch bei den Wettbewerbern gibt es inzwischen einige Frauen, die die Verantwortung des Unternehmens tragen und als Geschäftsführerinnen tätig sind. Wir sind beispielsweise auch Mitglied des Netzwerkes „Woman in Mobility“. Das bedeutet, Schiene auch weiblich denken. Viele verschiedene Blickwinkel und Vielfalt stärken und schaffen Erfolg. Wir brauchen Frauen und wir brauchen Männer – der gesunde Mix stärkt uns alle.

Was würden sie Frauen raten, die noch nicht den Mut gefasst haben, eine Karriere bei den Bahnen in NRW zu starten?

Anne Mathieu: Im Bereich des Schienenverkehrs verfügen wir über moderne Triebwagen. Das bedeutet, dass keine Muskelkraft, sondern technisches Verständnis gefordert ist. Ich rate zudem jedem jungen Mädchen und jeder Frau: Seid mutig und habt Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Es ist alles erlern-, schaff- und umsetzbar. Außerdem: Unsere Branche ist eine Zukunftsbranche, weil wir zum Beispiel für eine saubere Umwelt arbeiten. Und die meisten Frauen sind zukunftsorientiert!